Blog: Das Wunsch-Metaversum (Teil 1: allgemein)

Oder: Tony Parisi hat doch nicht recht!

Wenn jemand, der die Grundlagen zu unserem heutigen Umgang und Verständnis einer Technologie wie Virtual Reality wesentlich mitgeprägt hat, etwas zu dem aktuellen Hype „Metaversum“ sagt, sollte man schon genau hinhören.

Eine solche Persönlichkeit ist sicherlich Tony Parisi, der mit seinen Arbeiten in diesem Bereich, allen voran seiner Mitarbeit bei der Entwicklung von Virtual Reality Modelling Language VRML, den Zugang für die Entwicklung von VR-Anwendungen auch für Nicht-Nerds geöffnet hat. (VRML 1.0 Specifications: https://www.martinreddy.net/gfx/3d/VRML.spec)

Toni Parisi veröffentlichte Im Oktober 2021 die „Sieben Regeln des Metaversums“. Mit diesem, wie er es nannte, „Framework für die kommende immersive Realität“ beschrieb er auch hier wieder wesentliche Voraussetzungen und Grundlagen, die Berücksichtigung bei der Realisierung und Umsetzung der Ideen solcher Metaversen finden sollten (Medium.com: https://medium.com/meta-verses/the-seven-rules-of-the-metaverse-7d4e06fa864c):

  • Regel #1: Es gibt nur ein Metaversum.
  • Regel #2: Das Metaversum ist für jeden nutzbar.
  • Regel #3: Niemand kontrollierte das Metaversum.
  • Regel #4: Das Metaversum ist offen.
  • Regel #5: Das Metaversum ist Hardware-unabhängig.
  • Regel #6: Das Metaversum ist ein Netzwerk.
  • Regel #7: Das Metaversum ist das Internet.

Sicherlich ist jede einzelne der von Parisi aufgestellten Regeln es Wert, näher betrachtet zu werden. Zwei davon stechen jedoch besonders heraus, nämlich die Regel #1 und die Regel #7, die letztlich ja auch eng zusammenhängen, denn wenn das Metaversum nach Regel #7 gleich dem Internet ist, dann erfüllt es damit automatisch auch Regel #1, da es ja eben auch nur ein Internet gibt.

Oder vielleicht doch nicht?

Das Internet ist ja durchaus schon eine ganze Reihe Jahre alt. Erstaunlicherweise zeigt sich hier aber ein ähnliches Phänomen, wie es auch für das Metaversum gezeigt werden kann. Das Internet ist sicherlich eine etablierte Technik. Wird einem „durchschnittlichen“ Benutzer aber die Frage gestellt, was denn nun eigentlich das Internet ist, zeigt sich bei steigender Zahl der Befragten immer deutlicher, dass „das Internet“ in der Regel mit „dem WWW“ (World Wide Web) gleichgesetzt wird.

Dies ist natürlich nicht richtig. Vielmehr ist das WWW nur ein, wenn auch durchaus sehr großer, Teil des Internet. Der genauere Blick zeigt schnell, dass zum Beispiel sowohl E-Mail und mehr und mehr auch die Telefonie über das Internet arbeiten. Beide Kommunikationskanäle sind dabei aber unabhängig vom WWW, dadurch das sie auf jeweils eigenen Kommunikations- und Transportprotokollen implementiert sind (z.B.: https://www.uni-giessen.de/fbz/svc/hrz/org/mitarb/abt/3/zms/schulung/webtechniken/internet/protokolle). Die Liste solcher Beispiele ließe sich leicht verlängern mit einer Vielzahl weiterer unabhängiger Internet-Protokolle, bis hin zum Internet der Dinge (IoT), bei dem wohl unmittelbar deutlich wird, dass hier nur über einige Umwege eine Verwandtschaft mit dem WWW besteht.

Also gibt es doch nicht nur ein Internet. Vielmehr gibt es eine Reihe unterschiedliche Netzwerke, die verschiedene Ziele adressieren und unterschiedliche Funktionalitäten anbieten, und die jedes für sich nebeneinander existieren. Dies aber macht den Umgang mit Regel #7 schwierig. Es stellt sich die Frage, welchem Internet das Metaversum denn nun entspricht und wie es in diesem Internet realisiert werden kann. Diese Betrachtung muss in möglichst naher Zukunft diskutiert werden, denn sonst besteht die Gefahr, dass schon zu Beginn der Umsetzung der Idee des Metaversums (ja, die Entwicklung des Metaversums steht noch an ihrem Anfang!) der falsche Weg eingeschlagen wird.

Das einzige WWW …

Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass das zukünftige Metaversum, werden heutige Vorstellungen berücksichtigt, vor allem konsumentenzentriert sein wird. Daraus folgt, dass es sich somit um eine Weiterentwicklung des WWW handeln wird. Wenn jetzt also in Parisis Regel #7 „das Internet“ durch „das WWW“ ersetzt wird, so würde diese Regel an Genauigkeit gewinnen, und auch die Regel #1 wäre dann automatisch erfüllt, da es ja nur ein WWW gibt. Allerdings …

… zeigt ein Blick in die Welt des WWW, dass dies im Detail leider doch nicht so einfach ist und leider nicht so ganz stimmt.

Rein technisch betrachtet ist das WWW tatsächlich ein einziger, einzigartiger und in sich geschlossener Teil dessen, was wir landläufig als das Internet bezeichnen. Dennoch ist es letztlich lediglich ein Teil der gesamten Internet-(Protokoll-) Familie. Schaut man sich allerdings die Geschichte und den aktuellen Zustand des WWW an, so zeigt sich, dass es mittlerweile eigentlich eine ziemlich starke Aufspaltung in verschiedene Bereiche gibt, die von einzelnen Anbietern soweit als möglich getrennt gehalten werden sollen. Das WWW wird also nicht durch den technischen Zugang, sondern eher durch die Besitzverwaltung von Informationsbereichen und eine damit zusammenhängende Verwaltung der entsprechenden Zugangsrechte aufgeteilt.

Diese Entwicklung begann nicht erst mit dem Aufkommen von Social Media, sondern dies begann schon vorher durch die von Beginn an stetig stärker werdende Kommerzialisierung des WWW. Schon in der Frühzeit des Internet wollten AOL, Compuserve und andere Anbieter den Zugang zu ihren eigenen Teilbereichen nur durch die Nutzung ihrer jeweils eigenen Zugangssoftwaren zulassen wollten. Diese Mauern wurden dann zwar auch schnell wieder eingerissen – spätestens als sich glücklicherweise solche Aussagen wie von Bill Gates (https://www.datev-magazin.de/meinungen/glueckwunsch-und-warnung-zugleich-1329), Ron Sommer (https://www.wiwo.de/bilder/nachrichten-und-meinung-die-groessten-irrtuemer-der-letzten-40-jahre/4721858.html) und anderen vermeintlichen Technovisionären dann zum Glück doch nicht bewahrheiteten und es so schien, als ob das eine WWW zu einem freien und uneingeschränkten Zugang zu allem Wissen unserer Welt für jederfrau und jedermann werden würde.

Die kommerzielle Denkweise zeigte sich aber leider als stärker und führte dazu, dass der Zugang zu mehr und mehr Inhalten nur über bezahlte Zugänge auf einigen, wenigen Portalen gewährt wurde. Diese Denkweise wurde von den Social-Media-Plattformen aufgegriffen und weiterentwickelt, denn hier wurden von Beginn an eigene, parallel existierende Ökosysteme eingerichtet, die von den Benutzern möglichst nicht mehr verlassen werden sollen – schließlich finden die Benutzer dort ja vermeintlich alles, was sie suchen und benötigen und es besteht gar keine Notwendigkeit des Wechsels vom einen in das andere Ökosystem. Zudem ist der Zugang bzw. der Wechsel vom einen zum anderen Ökosystem zwar technisch vielleicht nicht unbedingt schwierig, aber ganz sicher nervig – hier muss der Benutzer ausloggen, dort muss er sich einloggen oder er muss in Kauf nehmen, dass er mit Hilfe von gesetzten Cookies – oder auch anderen Werkzeugen – getrackt und wiedererkannt wird. Prägnantestes Beispiel für solche in sich geschlossenen Ökosysteme ist sicherlich Facebook.

… und das einzige Metaversum

Dies ist der Stand des WWW so far.

Aber wie schaut es mit dem Metaversum aus?

Hier ist es aktuell noch weit chaotischer und unübersichtlicher, als es beim WWW wohl jemals war. Das gewünschte „eine“ Metaversum nach Parisis Regel #1 liegt, wenn überhaupt, in sehr sehr weiter Ferne. (Ja, es muss zugegeben werden, dass auch Parisi seine eigenen Regeln mittlerweile durchaus recht kritisch diskutiert – insbesondere überdenkt er selbst die Bedeutung von „dem Einen“ und fragt nach anderen Auslegungen).

Es reicht allerdings schon nur einmal zu googlen, und die aktuell vorherrschende Unübersichtlichkeit wird schlagartig offenbar. Egal, ob ein Einzelwort eingegeben wird oder ob mit verschieden kombinierten Strings gesucht wird, so zeigen sich die Ergebnisse einer solchen Suche als lange, unübersichtliche Liste verschiedener Plattformen, die sich alle irgendwie mit der Bezeichnung „Metaversum“ schmücken. Ein Blick auf die Details in den Ergebnissen zeigt das eigentliche Problem: es gibt (noch) keine feststehende Definition für das, was das Metaversum sein soll. Offensichtlich wird diese Bezeichnung vor allem aus marketingtechnischen Gründen genutzt – und verkommt so, wie soviele andere Bezeichnungen auch schon, zu einem letztlich inhaltsleeren Marketing-Buzzword.

Als das plakativste Beispiel dafür muss hier natürlich Facebook – in Person von Mark Zuckerberg – genannt werden. Schon in ersten Videopräsentation und auch in den folgenden Publikationen rund um die Umbenennung von Facebook in Meta werden letztlich nur ganz allgemeine und oberflächliche Ideen und Darstellungen des Metaversums gezeigt, die als „embodied internet“ der Zukunft angepriesen werden. Die in diesem Rahmen gezeigten Beispiele zeigen bei genauerem Hinsehen mur die altbekannten Ideen aus Ready Player One und anderer, typischer 3D-Welten, wie sie in unzähligen Spielen, Filmen und Romanen schon früher gezeigt wurden. Also eigentlich nichts Neues – aber gleichzeitig geben Mark Zuckerberg und Meta selbst zu, dass ungefähr noch ein Dutzend technologische Entwicklungen für die Umsetzung des ausgerufenen Metaversums fehlen. (Cryptonews.net: https://cryptonews.net/de/news/metaverse/11107859/) (Forbes: https://www.forbes.com/sites/timbajarin/2022/01/18/the-missing-link-in-a-metaverse-for-all-vision/)

Ursprünglich war der Begriff „Metaversum“ – wie fast jeder andere Begriff auch – neutral. Das Ausschlachten aus marketingtechnischen Gründen wird aber ein nicht unwichtiges Problem der Idee des Metaversums in naher Zukunft werden. All die eigentlich interessanten, nützlichen und notwendigen Ideen, die auch eine ganze Reihe Probleme des heutigen Internet lösen würden – im Wesentlichen basiert das Internet schließlich immer noch auf mittlerweile 30 bis 40 Jahre alten Techniken und Protokollen – werden verdrängt durch eine rein kommerzielle Interpretation. Deshalb wird ein neuer Begriff gefunden werden müssen, dem man nur wünschen kann, hoffentlich nicht ebenso schnell wieder inhaltlich missbraucht zu werden.

Aber was bedeutet das denn nun?

Die technische Entwicklung wird weitergehen – die „Nerds“ arbeiten schon daran. Die Ideen und Visionen sind einfach zu bunt und zu schön, um sie einfach verschwinden zu lassen und zu vergessen. Das Interesse ist da – und es ist nicht nur das Marketing, sondern es sind eben auch die Technologen und Techniker und es sind – was auch ein Glückfall für die Idee und ihres „Überlebens ist – auch die Benutzer offen für ein neues Internet. Ob es das „embodied“ Internet von Mark Zuckerberg sein wird oder ein 3D-„Nvidia-Internet“, lässt sich im Moment noch nicht vorhersagen.

Aber was soll ein Benutzer, der das Metaversum jetzt schon kennenlernen will oder der ganz einfach nur neugierig ist, was ihm das Metaversum bieten kann und es besuchen und erkunden möchte, jetzt tun?

Der nächste Beitrag soll dazu eine Hilfestellung geben.


 

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